
Gesund essen ist chic wie nie zuvor. Wir posten stolz unser gesundes Essen auf Instagram, tauschen gesunde Rezepte aus, gehen in "Healthy Food"-Lokale, trinken grüne Smoothies, haben den bösen Zucker und das uns verklebende Gluten aus unserer Küche verbannt und achten darauf, dass Gemüse und Obst aus streng biologischen Anbau stammen bzw. essen nur Fleisch von ehemals glücklichen Tieren.
Mir gefällt dieser Trend, gar keine Frage. Ich finde es super, dass wir nicht alles achtlos in uns hinein stopfen und uns stattdessen Gedanken machen, was in unserem Essen steckt. Ich finde es toll, wenn man Nachhaltigkeit lebt und regionale Bauern unterstützt. Aber wie bei allem im Leben gilt auch hier, dass das Extreme schnell ungesund wird - und zwar in beide Richtungen: Egal, ob man sich nun tagtäglich mit Pommes, Hamburger und Wurstsemmel den Bauch vollhaut oder ob man sich krankhaft gesund ernährt. Kreisen nämlich all unsere Gedanken um gesundes Essen, kann das krank machen und das hat einen Namen:
Orthorexie bzw. Orthorexia Nervosa
ist eine offiziell nicht anerkannte Essstörung, bei der Menschen vom gesunden Essen besessen sind. Wenn du dir jetzt Sorgen machst, ob du auch als orthorexisch einzustufen bist, weil du ja auch viel auf gesunde Ernährung Wert legst (ging mir kurz auch mal so, als ich erstmals davon gehört habe): Keine Sorge. Wie gesagt, es gilt immer das gesunde Mittelmaß.
Gegessen werden bei Orthorexie oft nur noch sehr wenige ausgewählte Lebensmittel. Manche Betroffene beschäftigen sich so intensiv mit gesunder Ernährung, sodass sie für gar nichts anderes mehr Zeit oder einen freien Kopf haben. Ihr Leben ist auf gesundes Essen ausgerichtet: Sie lehnen Essenseinladungen ab, können nicht mehr auswärts essen gehen, überlegen sich stundenlang am Tag, was sie essen sollen/dürfen/müssen oder wie sie etwas scheinbar Ungesundes wieder kompensieren können. Sie haben regelrecht Angst vor ungesunden Nahrungsmitteln und seltsame Vorstellungen davon, was diese in ihrem Körper anrichten können (wie z.B. dass Gluten den Körper von innen verklebt).
Typisch für Orthorexie ist, dass Betroffene
- auf immer mehr Lebensmittel verzichten
- immer mehr Zeit für die Zubereitung aufwenden müssen
- sich bei Übertretung des Ernährungsplans selbst sanktionieren
- das Umfeld mit ihrer Ernährung missionieren
- eine Vernachlässigung sozialer Kontakte in Kauf nehmen
Leider können diese Anzeichen auch auf gesunde Menschen zutreffen. Ich selbst habe in meinem Leben als Vegetarierin schon oft daheim genügend "vor gegessen", wenn ich gewusst habe, dass ich bei der anschließenden gemütlichen Fleisch-Grillerei eher durch die Finger schaue. Bzw. habe ich es mir eigentlich schon lange angewohnt, mein Essen selbst mit zu nehmen. Aber nicht, weil ich Angst vor dem ungesunden Essen habe, sondern ich einfach kein Fleisch essen, aber dennoch am sozialen Erlebnis teilnehmen möchte.
Der US-amerikanische Arzt Steven Bratman hat 1997 erstmalig die noch nicht anerkannte Essstörung Orthorexia nervosa beschrieben, an der er nach eigener Aussage selbst gelitten hatte. Er hat den Bratman-Test entwickelt, der Auskunft über das individuelle Orthorexie-Risiko geben soll:
Der Bratman-Test: Bist du Orthorexie gefährdet?
- Denken Sie mehr als 3 Stunden am Tag über Ihre Ernährung nach?
- Planen Sie Ihre Mahlzeiten mehrere Tage im Voraus?
- Ist Ihnen der ernährungsphysiologische Wert Ihrer Mahlzeit wichtiger als die Freude an deren Verzehr?
- Hat die Steigerung der angenommenen Lebensmittelqualität zu einer Minderung Ihrer Lebensqualität geführt?
- Sind Sie in letzter Zeit mit sich strenger geworden?
- Steigert sich Ihr Selbstwertgefühl durch gesunde Ernährung?
- Verzichten Sie auf Lebensmittel, die Sie früher gerne gegessen haben, um nun “richtige” Lebensmittel zu essen?
- Haben Sie durch Ihre Essensgewohnheiten Probleme auszugehen und distanzieren Sie sich dadurch von Freunden und Familie?
- Fühlen Sie sich schuldig wenn Sie von Ihrer Diät abweichen?
- Fühlen Sie sich glücklich und unter Kontrolle wenn Sie sich gesund ernähren?
Wenn du 4 oder 5 dieser Fragen bejahen kannst, ist es Zeit, mehr Gelassenheit in Bezug auf deine Ernährung zu zeigen. Wenn du alle Fragen bejahst, hast du bereits eine Besessenheit für gesunde Lebensmittel entwickelt.
Mehr von Dr. Bratman und Orthorexie auf: http://www.orthorexia.com
Quellen:
http://www.gesundheits-fakten.de (Zugriff 13.10.16)
http://www.eufic.org/article/de/artid/orthorexia-nervosa (Zugriff 13.10.16)
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Birgit (Freitag, 14 Oktober 2016 08:40)
Interessantes Thema. Glaub auch, dass es oft eine Gratwanderung ist. Gesunde Ernährung ist wichtig, aber wenn es zu extrem wird, muss man aufpassen. Durch die Medien (gerade die Sozialen Medien wie Instagram, Facebook) werden wir täglich mit gesundem Essen konfrontiert, weil es so modern ist, und bekommen dadurch ein schlechtes Gewissen vermittelt, wenn wir uns den Burger schmecken lassen. Ich will doch einfach nur gut essen, es mir schmecken lassen und meinem Körper was gutes tun. Ohne nachzudenken müssen. Verkorkste Welt ist das...
Glüxmomente | Katharina Motz (Freitag, 14 Oktober 2016 08:48)
Hallo Birgit,
danke für deine Nachricht. Ja, eine ungezwungene, natürliche Ernährung ist durch die vielen äußeren Einflüsse und auch Zwänge nicht immer leicht. Druck hat beim Essen nichts zu suchen. Es geht für mich um Geschmack, soll Geist und Körper gut tun, um Genuss, um Soziales, um Energie, um Kraft - essen, was einem schmeckt und gut tut, nicht was andere vorgeben. Ein gesundes Mittelmaß zu finden, ohne schlechtes Gewissen. Das wäre das Ziel. Back to the roots. Aber das ist leider oft leichter gesagt als getan. Gesund ist gut, eh klar. Aber bitte nicht auf Kosten der Lebensqualität.
Alles Liebe!